WETTBEWERBE 2021
IDA – International Documentary Award
Kuration: Marie-Christine Hartig, Martin Lintner
Jury:
Marlies Pöschl (Filmemacherin)
Christos Varvantakis (Goldsmiths University, Athens Ethnographic Film Festival)
Weina Zhao (Filmemacherin, Gewinnerin des Austrian Documentary Awards 2020)
Preisgeld: € 1.000.-
Preis gestiftet von: ethnocineca
Gewinner
THIS RAIN WILL NEVER STOP
Alina Gorlova | Ukraine 2020 | 102 Min.
Jurystatement: THIS RAIN WILL NEVER STOP ist ein Porträt zweier vom Krieg heimgesuchter Länder, die durch das fragile Leben eines Individuums verbunden sind: Andriy Suleyman, der nach seiner Flucht aus dem Syrienkrieg in die Ostukraine kam. Der Film schafft es erfolgreich, eine sehr komplexe Geschichte durch hervorragenden Schnitt und Kameraführung zu erzählen. Wir sehen Ausschnitte aus Andriys Leben, ohne zunächst mit dem Kontext vertraut zu sein, und nur langsam können wir beginnen, die einzelnen Teile zusammenzusetzen. Eine raffinierte filmische Form, die Andriys Prozess der Ankunft in der Ukraine, des Kennenlernens dieser neuen Realität und des Aufbaus eines neuen Lebens ästhetisch übersetzen. Ohne jemals explizit die Kriege zu zeigen, die Andriy umgeben und verfolgen, werden die Folgen und Schrecken des Krieges auf einer viel umfassenderen Ebene vermittelt, zu Themen wie Migration, Zerstreuung, Diaspora, Grenzen und dazu, wie sich Menschen an Situationen konstanter Notlagen anpassen. Dies ist ein meisterhafter Dokumentarfilm. Er ist originell, aufschlussreich, rhythmisch ausgewogen, wobei die Bilder in Kombination mit dem Ton für ein äußerst bewegendes Kinoerlebnis sorgen.
Nominierte Filme
EVA – Excellence in Visual Anthropology Award
Kuration: Hannah Hauptmann, Katja Seidel
Jury:
Laura Coppens (Anthropologin & Filmemacherin, Universität Bern)
Jari Kupiainen (VISCULT – Ethnographic Documentary Film Festival Joensuu)
Vlad Naumescu (Anthropologe & Filmemacher, Central European University)
Preisgeld: € 1.000.-
Preis gestiftet von: Institut für Kultur- und Sozialanthropologie
Honorable Mention
Lobende Erwähnung: BOSCO
Alicia Cano Menoni | Uruguay, Italien 2020 | 80 Min.
Jurystatement:Die lobende Erwähnung geht an den Film Bosco für seinen kinematographischen Ansatz, der ein Gefühl der Intimität zu den Charakteren sowie zu deren Einbettung in Orten und Landschaften schafft. Die Jury schätzte das Zeitgefühl, welches die Entwicklung der Geschichte zwischen zwei Welten kennzeichnet, verbunden durch die Suche der Filmemacherin nach dem „Zuhause“. Die poetischen Elemente des Films und des unpriviligierten Kamerastils erzeugen einen emotionalen Raum, der uns sanft umarmt wie die Umarmung eines Großvaters.
Gewinner
THE BODY WON´T CLOSE
Mattijs van de Port | Niederlande, Brasilien 2020 | 75 Min.
Jurystatement: Der Gewinner des Excellence in Visual Anthropology Award 2021 ist The Body Won’t Close – Bahian Tales of Love and Vulnerability des Regisseurs und Anthropologen Mattijs van de Port. Der Film ist in Bahia in Brasilien situiert und baut ein meisterhaft erzähltes Netzwerk auf, der miteinander verbundenen Themen Liebe, Sexualität, Mythologie, Geschichte, Identität, Kolonialismus und Rassismus um bahianische Körpervorstellungen. Die persönliche Kamera stellt den Filmemacher und Anthropologen in den Mittelpunkt, den Erzähler einer Geschichte von Verführung und Verrat, die den Forscher als einen verletzlichen und sexuellen Körper im Feld enthüllen. Diese Reflexivität, die methodisch in der Erzählung aufgebaut ist, wird durch einen experimentellen Schnitt ergänzt, der mit unserer Vorstellungskraft, Wahrnehmung und Emotionen spielt. Es ist ein innovativer und mutiger Film, der die Prämissen der anthropologischen Praxis in Frage stellt, einschließlich unseres am meisten geschätzten Konzept des Vertrauens. The Body Won’t Closeist ein Denkanstoß für Forscher_innen sowie ein ästhetisch ansprechender und origineller Essayfilm.
Nominierte Filme
ADA – Austrian Documentary Award
Kuration: Marie-Christine Hartig, Martin Lintner, Katja Seidel
Jury:
Csilla Kató (Künstlerische Leitung, Astra Filmfest)
Doris Posch (Filmwissenschafterin)
Michael Schmied (Künstlerische Leitung, This Human World Film Festival)
Preisgeld: € 1.000.-
Preis gestiftet von: Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden
Gewinner
ONCE UPON A TIME IN VENEZUELA
Anabel Rodríguez Ríos | Venezuela, Großbritannien, Brasilien, Österreich 2020 | 99 Min.
Jurystatement: Die Jury hat sich entschieden Once upon a Time in Venezuela von Anabel Rodríguez Ríos mit dem ADA-Preis des diesjährigen ethnocineca– International Documentary Film Festival auszuzeichnen. Die Jury schätzt die strenge Architekur in der Erzählstruktur, die es dem Zuschauer ermöglicht, durch Szenen aus dem Alltagsleben der Menschen des kleinen abgelegenen Dorfes Congo Mirador, das makropolitische Klima des Landes mitzuerleben. Die Filmemacherin beeindruckt in ihrem Umgang mit einer großen und komplexen Kinoproduktion, in der zugleich eine Spontanität in der Entfaltung der Szenen präsent bleibt. Die klar skizzierten Charaktere ermöglichen es dem internationalen Publikum, die zugrundeliegenden politischen und wirtschaftlichen Konflikte innerhalb der sozialen Struktur des Ortes zu verstehen. Dies wiederum erlaubt es, sich in eine sehr lebendige lokale Gemeinschaft einzufühlen und den kaum beachteten Sorgen und Visionen der Protagonist*innen zuzuhören, die auf diese Weise selbst zu Sprecher*innen einer zukünftigen Generation werden. Die Kinematografie zeigt auf subtile und kluge Weise das Ungleichgewicht eines Ökosystems, das durch das allmähliche Verschwinden der natürlichen Gegenheiten bedroht ist, nämlich des Wassers, auf dem die Community als Ganzes aufgebaut wurde. Dies unterstreicht die unbeständige und verletzliche Natur des politischen Klimas und des sozialen Umfelds im Ganzen.
Nominierte Filme
ISA – International Shorts Award
Kuration: Rocío Burchard, Saskya Tschebann
Jury:
Doris Posch (Filmwissenschafterin)
Sanderien Verstappen (Visuelle Anthropologin, Universität Wien)
Christos Varvantakis (Goldsmiths University, Athens Ethnographic Film Festival)
Preisgeld: € 500.-
Preis gestiftet von: Verwertungsgesellschaft für audio-visuelle Medien
Gewinner
ASAK
Mahdi Zamanpour Kiasari | Iran 2019 | 30 Min.
Jurystatement: ASAK ist eine Geschichte über das Verhältnis von Mensch, Arbeit und Umwelt. Es zeigt die Arbeit des blinden Steinmetzes, Aziz, der sich in die Berge begibt, um Steine zu finden. Er ertastet und erschmeckt die Steine in seiner sorgfältigen Selektion, zerbricht sie, um sie nach Hause zu bringen und aus den Steinen dekorative Gegenstände zu formen, die auf dem Markt verkauft werden. Auf der einen Seite zeigt der Film den Prozess, wie das Gestein durch mühsame, körperliche Arbeit in einen Gebrauchsgegenstand verwandelt wird. Auf der anderen Seite werden dieser Prozessdarstellung Szenen aus dem Familienleben des Steinmetzes gegenübergestellt: seine Tochter und Enkelkinder, die ihn unterstützen, ihn umarmen, für ihn kochen oder mit ihm telefonieren, während er die Steine formt.
Die Jury ist von den sensorischen Aspekten der Erzählung beeindruckt, welche auf einer visuellen, auditiven und haptischen Ebene die intime Beziehung zwischen dem Steinmetz und den Steinen überträgt. Die Struktur von Gesicht und Steinen, das Schmecken und Fühlen des staubigen Gesteins und der sich wiederholende Klang des Hammers – diese und andere eindrucksvolle sensorische Elemente enthüllen die Körperlichkeit der menschlichen Arbeit und ihrer Folgen. Das Eintauchen in das tägliche Leben, bei dem der Fokus nicht auf dem Spektakulären, sondern auf den Routinen des Alltags liegt, führt zu einem vielschichtigen Porträt eines Steinarbeiters und seiner sozialen, räumlichen und materiellen Umgebung. Die Beziehung zu seiner Tochter wirft Fragen zur transgenerationalen Weitergabe auf und schafft Raum für imaginäre Ebenen, die größer als die Menschheit sind – durch die Integration von Träumen und Ängsten, die seine Tochter am Telefon erzählt und von dem alten Mann gedeutet wird.
Nominierte Filme
ESSA – Ethnocineca Student Shorts Award
Kuration: Nóra Soponyai, Simone Traunmüller
Jury:
Anja Natmessnig (Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien)
Dino Osmanovic (Hochschule für Fernsehen und Film München)
Christos Varvantakis (Goldsmiths University, Athens Ethnographic Film Festival)
Preisgeld: € 500.-
Preis gestiftet von: BAGRU/STV Europäische Ethnologie, Universität Wien
Honorable Mention
HONORABLE MENTION: ATTENTION ALL PASSENGERS
Marek Moučka | Slowakei 2020 | 20 Min.
Jurystatement:Ein Film, der uns eine ehrliche Begegnung mit den alltäglichen Risiken von Lokführern bietet. Gefilmt auf 16 mm bietet er einen ehrlichen Blick darauf, wie diese Männer mit traumatisierenden Todesfällen umgehen, welche sie im Laufe ihres Berufes erleben. Mit einem versinnbildlichten Reh am Anfang und Ende gibt sich der Film nie der übermäßigen Verwendung von Symbolen hin. Wir würden uns freuen, in Zukunft mehr solcher kinematographischen Einblicke zu sehen.
Gewinner
MAREA
Vania Quevedo | Mexiko, Kuba 2019 | 18 Min.
Jurystatement: Poetische Schwarz-Weiß-Aufnahmen nehmen uns mit in die harte Welt eines Haifischfängers, welcher an einem verlassenen Strand lebt. Die stark kontrastierenden Bilder spiegeln die komplexen Beziehungen des Protagonisten zu seiner Beute, dem Hai, und den durch seine unheilbare Lungenkrankheit bedingten Kampf um seinen Atem wider. Eine weitere vertiefende Ebene fügt die sorgfältig erschaffene Klanglandschaft hinzu. Brillante Aufnahmen der brechenden Wellen, die Umgebungsgeräusche und das erschwerte Atmen erzeugen einen Soundtrack von Leben und Tod und nehmen uns in die Welt zwischen Land und Meer mit. Es ist eine große Leistung der Filmemacherin, uns einen ehrlichen und ergreifenden Blick auf das Leben dieses Fischers zu bieten. Die filmische Form liegt nicht rein in der künstlerischen Entscheidung, sondern ergab sich aus dem Inhalt. Dieses Beispiel sensorischer Ethnographie hat die Fähigkeit, durch kinematographische Mittel ein Verständnis für die Komplexität des Lebens des Protagonisten zu vermitteln.