RAHMENPROGRAMM 2019
KEYNOTE: Dr. Eva van Roekel | VU Amsterdam
Filmmakers at Risk
Kollaboratives Filmschaffen entstand als revolutionäre Methode der Demokratisierung anthropologischen Wissens. Kompakte Ausrüstungen und deren einfache Handhabung ermöglichen es SozialwissenschafterInnen zunehmend Umweltproteste, politischen Aufruhr, Migrationsbewegungen, Menschenrechtsverletzungen und die damit verbundenen persönlichen Herausforderungen aufzuzeichnen. Wir können problemlos audiovisuell Geschichten gestalten, kollaborativ entwickeln und unmittelbar teilen. In Zeiten tiefer Verunsicherung liefern diese Dokumente prägende Einblicke.
Gleichzeitig werden Filmende wie Gefilmte durch diese neuen Zonen der ethnographischen Teilnahme und Repräsentation extrem verletzlich. Ist es also immer ethisch und wünschenswert, mit unseren GesprächspartnerInnen zusammenzuarbeiten und ihre Geschichten einem größeren Publikum zugänglich zu machen? Dies fragt sich van Roekel seit mehr als einem Jahrzehnt, während sie die Geschichten ihrer ForschungspartnerInnen – MilitärstraftäterInnen, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Argentinien verurteilt wurden – zu erzählen versucht. In ihrem Vortrag reflektiert sie mit uns gemeinsam, inwiefern die zunehmende Verfügbarkeit des Sichtbaren und der Kollaboration neue Gefahren für FilmemacherInnen, Gefilmte und nicht zuletzt diejenigen, die nicht gefilmt werden, bringen. Vortrag in englischer Sprache.
Biographie
Eva van Roekel ist Assistenzprofessorin für Sozial- und Kulturanthropologie an der VU Amsterdam. Seit mehr als einem Jahrzehnt lebt und arbeitet sie in Lateinamerika. Ihre Feldforschung konzentriert sich auf Gewalt, Menschenrechte und Übergangsjustiz in Argentinien und Venezuela. Sie drehte zwei Dokumentarfilme in Venezuela und einen Dokumentarfilm in Belgien. Derzeit arbeitet sie an einem neuen Filmprojekt in Argentinien.
MASTERCLASS: Ziad Kalthoum | Filmemacher | Syrien
Der Filmemacher Ziad Kalthoum hat erlebt, was es heißt an schizophren anmutenden Lebensumständen fast zu zerbrechen. Untertags als Soldat im Dienste des Syrischen Staates feuerte er Bomben auf die Häuser der Stadtteile, in denen er am Abend selbst als Zivilist unter Beschuss genommen wurde. 2012 desertierte Kalthoum und ging nach Europa ins Exil. Als Filmemacher hatte er seitdem und auch schon während seinem Leben im Krieg filmisch dokumentiert, was es heißt, ein Leben „at risk” zu führen.
Nach Immortal Sergeant ist Ziad Kalthoum dieses Jahr mit seinem zweiten Film Taste of Cement bei der ethnocineca vertreten. In der Masterclass teilt er seine Erfahrungen als Filmemacher, der unter größter politischer, physischer und psychischer Gefahr zwei Filme gedreht hat, die zum einen die Schrecken und zum anderen die Folgen des Krieges in vollkommen unterschiedlicher Weise erzählen. Er teilt mit uns seine Einsichten, wie die eigenen Lebensumstände und das Thema, das es zu erzählen gilt, die Form und Erzählstruktur der zu gestaltenden Filme beeinflussen, und wie man auch unter widrigsten Umständen und größten Risiken ein Meisterwerk von ebenso großer menschlicher wie politischer Bedeutung schaffen kann.
DISKUSSION: Giorgio Ferrero & Alexander Hick
Futures at Risk – Politik und Ästhetik im Dokumentarfilm
Transnationale Konzerne, Hyperkonsum und die Auswirkungen unser nach Fortschritt und Wirtschaftswachstum lechzenden Gesellschaft wirken sich massiv auf unser Klima aus. Warnungen von KlimaforscherInnen erreichen uns seit Jahren. In unterschiedlicher ästhetischer und erzählerischer Zugangsweise beschäftigen sich Ferrero und Hick mit der globalisierten Wirtschaft und ihren Folgen.
Ferrero hinterfragt in Beautiful Things die westliche Konsumgesellschaft und den Turbokapitalismus auf spielerische Weise und setzt mit seinem Film ein imposantes Mahnmal für die Zukunft der Klimapolitik. Alexander Hick wirft in Thinking like a Mountain einen sensiblen Blick auf den Einfluss, den internationale Industrien und Klimawandel auf den Lebensraum der Arhuacos in Kolumbien haben und zeigt in poetischem Zusammenspiel ihren Kampf für den Erhalt ihrer kulturellen Identität. Im Gespräch mit Giorgio Ferrero und Alexander Hick diskutieren wir Fragen von Handlungsmöglichkeiten und politischem Engagement im Dokumentarfilm.
FILMGESPRÄCH: Simone Mestroni & Ulrike Davis-Sulikowski
After Prayers: Ein Sozialdrama von Gewalt, Poesie und männlicher Subjektivität in Kaschmir
Die Sozialanthropologen Simone Mestroni und Ulrike Davis-Sulikowski diskutieren in diesem Filmgespräch die Strömungen von Poesie zu Aufruhr, Widerstand und Erinnerung anhand historischer und zutiefst persönlicher Erfahrungen, die in Mestronis Dokumentarfilm verankert sind. Sie setzen sich mit den Unruhen als sozialem Drama auseinander und analysieren Fragen der Performanz, der Visualität und Moral, die sich in historischen Merkmalen von Orten, der Entstehung männlicher Subjektivität und der nekropolitischen Struktur der Politik in Kaschmir widerspiegeln. Mestronis ethnografischer Dokumentarfilm After Prayers, der unter großen Herausforderungen für den Filmemacher gedreht wurde und sich mit dem Leben von Individuen sowie einer Gesellschaft befasst, die ständig in Gefahr sind, beschäftigt sich mit der Frage, wie visuelle Ethnografie einen Kampf um Freiheit kommunizieren kann in einer Welt globaler politischer Umbrüche. Wir freuen uns auf dieses Gespräch über Politik, Körperlichkeit, Erinnerung und die Kraft der filmischen Repräsentation.
AWARD CEREMONY
In feierlichem Rahmen werden die Preise für die Gewinnerfilme der fünf Wettbewerbskategorien IDA, EVA, ADA, ISA und ESSA, eingebettet in ein vielfältiges Kurzfilmprogramm, verliehen.