RAHMENPROGRAMM 2017
KEYNOTE | Dr.in Michaela Schäuble | Universität Bern
RADICALISING REALISM IN DOCUMENTARY FILM
Zeiten wie diese, in denen von „fake news“, „alternative facts“ und „post-truth“ die Rede ist, beinhalten eine gesteigerte Nachfrage an Beweisen, Faktenbezogenheit und Realismus im öffentlichen Bewusstsein. Und tatsächlich floriert der Dokumentarfilm und wird als Genre erster Wahl all jener gehandelt, die der „Wahrheit“ auf der Spur sind. Dem Dokumentarischen wird nach wie vor eine verlässlichere und direktere Verbindung zu „dem Realen“ nachgesagt: Gründliche Recherche, Verifikation und Dokumentation sind gefragte Techniken und zahlreiche Dokumentarfilme zielen darauf ab, geheime Informationen offenzulegen, politisches Bewusstsein zu stärken und den ungehörten, marginalisierten Gruppen eine Stimme zu geben. In der Einführung zum Sammelband Collecting Visible Evidence schreib Jane M. Gaines im Jahr 1999: „The Real Returns“. Aber wir oft kann „das Reale“, „das Echte“ in der Filmgeschichte noch wiederkehren? Und wo ist es, wo war es in der Zwischenzeit?
In ihrer Keynote Lecture untersucht Michaela Schäuble kritisch den filmischen Realismus und diskutiert Dokumentarfilm als demokratische Kunstform. Dabei spricht sie nicht von objektivierenden Dokumentationen als ein, von wissenschaftlicher Rationalität oder empirischen Fakten geprägtes, Werkzeug – Dokumentarfilm ist nie nur ein faktisches Protokoll oder simple Darstellung von Events, sondern vielmehr potentiell instrumentalisierend, um politische Teilhabe und Engagement zu kreieren oder radikale soziopolitische Transformation herbeizuführen. Stattdessen fordert Michaela Schäuble die Ästhetik des Realismus heraus und greift die scheinbar gegensätzliche Beobachtung auf, dass sich die größten realistischen Filme immer auch der Emotion und erzählerischer Ambiguität bedienen – frei nach André Bazin’s berühmter Behauptung, dass im Bemühen, ihn zu erreichen, stets ein bestimmtes Maß an Realismus geopfert werden muss. Nach Jahrzehnten des radikalen Konstruktivismus ist es das radikalste Anliegen des Dokumentarfilms, die Wirklichkeiten hinter der Reichweite eben jenes Konstruktivismus in Angriff zu nehmen.
MASTERCLASS | Barak Heymann | Filmemacher | Israel
CINEMA AS A POLITICAL AND SOCIAL TOOL
Das Markenzeichen der Brüder Tomer und Barak sind politische Filme, die zugleich auf unprätentiöse Weise sehr persönliche Geschichten erzählen. Internationale Auszeichnungen bestätigen den Zugang der Heymann Brüder, das Kino als soziales und politisches Werkzeug zu verstehen, in dem ohne Skript gearbeitet wird und in welchem mit viel Vertrauen unter den Beteiligten zutiefst menschliche Erzählungen entstehen. Ob es dabei um illegale Arbeitsmigranten geht, um das jüdisch-arabische Zusammenleben oder um aufgewühlte Jugendjahre. Mit Who’s gonna love me nowsind die Heymann Brothers auf dem Festival vertreten – in der Masterclass gibt Barak Heymann wertvolle Einblicke in ihr Schaffen.
PODIUMSDISKUSSION
BEYOND IMAGES: ENCOUNTERS WITH RADICAL CINEMA IN THE 21ST CENTURY
Spätestens seit den 1960er und 70er Jahren steht radikales oder politisches Kino gleichermaßen für Propaganda Filme wie für systemkritische politische Kommentare und aufrüttelnde Dokumente des Widerstands gegen soziales Unrecht, totalitäre Regime und sexuell, religiös oder rassistisch motivierte Unterdrückung.
Doch was bedeutet Radical Cinema in der heutigen Zeit, in welcher die technologische Revolution einer breiten Masse die Produktion von audio-visuellen Selbstdarstellungen sowie die Plattformen, diese in Echtzeit zu präsentieren, global ermöglicht? Welche radikal politischen und ästhetischen Formen sehen wir und welcher Dialog eröffnet sich mit dem Publikum? Was kann radikales Kino überhaupt noch sein in Zeiten, in denen Attentate und Gräueltaten der Öffentlichkeit hautnah zugänglich gemacht werden?
Passend zum Programmschwerpunkt 2017 beschäftigen sich unsere Gäste mit diesen und darüber hinausgehenden Fragen und diskutieren mit dem Publikum, welche Möglichkeiten und Verantwortungen die Kamera bietet, wenn sie extreme Positionen, Hoffnungen und Gedanken visuell zugänglich macht. Mit Blick auf die Geschichte und das derzeit aufgeheizte politische Klima erörtern wir, was dokumentarisches Filmschaffen im 21sten Jahrhundert gesellschaftspolitisch beitragen kann und muss.
TeilnehmerInnen:
Martha-Cecilia Dietrich (Anthropologin und Filmemacherin)
Jakob Gross (Filmemacher Abdo)
Nenad Puhovski (Filmemacher Generation ’68)
Tom Waibel (KINOKI)
AWARD CEREMONY
In feierlichem Rahmen werden die Preise für die Gewinnerfilme der fünf Wettbewerbskategorien IDA, EVA, ADA, ISA und ESSA.