FOKUSPROGRAMME 2021
In den fünf Fokusprogrammen 2021 widmen wir uns der Liebe als fundamentales zwischenmenschliches Gefühl, der Familie als Kern unseres sozialen Zusammenlebens, unserem Körper als Identitätsfaktor und soziale Schnittstelle, den Orten, an denen wir leben, und dem Wandel, dem gesellschaftliche Veränderungen und globale Phänomen, die auf diesen einwirken, auf lokaler Ebene unterliegen. Es sind Aspekte des Alltags und Zusammenlebens deren Wert und Bedeutung wir durch die globale Corona-Pandemie wieder besonders gespürt haben. Doch keine Sorge: um den Virus und seine konkreten Auswirkungen geht es hier nicht.
LIEBE
AMOR FATI, der neueste Film von Cláudia Varejão, zeigt anhand von unterschiedlichen zwischenmenschlichen oder auch Mensch-Tier Beziehungen, wie wichtig Nähe und Zusammensein für uns alle ist. Ein Werk als filmische Antithese zu Social- oder eben Physical-Distancing, der bezeugt, dass wir im Leben nach mehr als Individualismus streben. Lebendig, berührend und verstörend taucht I LOVE YOU I MISS YOU I HOPE I SEE YOU BEFORE I DIE ein in die Bedeutung der Beziehung einer jungen Mutter zu ihren Kindern unter sozial und finanziell prekären Umständen. In MARANA begleiten wir autistische Jugendliche in ihrem Alltag und ihrem Bedürfnis nach Partnerschaft und Sexualität. THE MARRIAGE PROJECT erzählt von der „ärztlich verordneten“ Liebe zwischen Patient*innen einer psychiatrischen Einrichtung im Iran und zeigt auf, wie schwierig es ist, die Liebe institutionell in kontrollierte Bahnen zu lenken. MATHILDE AND THE LOVE ROOM thematisiert die häufig tabuisierte Liebe unter der Armutsgrenze und zeigt uns eine starke Frau, die sich ehrenamtlich dafür einsetzt, auch Obdachlosen ein paar Stunden Intimität zu ermöglichen.
Filme
FAMILIE
Eine Familiengeschichte als Zerreißprobe vor der Rückkehr in die alte Heimat Ghana aus Israel erleben wir in A FISH TALE, der die afrikanische Familie 10 Jahre lang auf ihrer Suche nach einem besseren Leben begleitet. Eine andere Migrationsgeschichte und deren Auswirkungen auf die Familie erzählt der Film THE SILHOUETTES von Afsaneh Salari, der über die Erfahrung einer Familie der Frage nachgeht, welche Chancen afghanische Flüchtlinge zweiter Generation im Iran haben. In zwei sehr unterschiedlichen filmischen Zugängen erzählen ROMAN’S CHILDHOOD und JETZT ODER MORGEN von Familien am vermeintlichen Rand der Gesellschaft. Roman, der in ärmlichen Verhältnissen aufwächst, erlebt durch die Liebe und Zuneigung seiner Eltern eine große Freiheit. In JETZT ODER MORGEN erleben wir den Alltag einer jungen Mutter und Sozialhilfeempfängerin in Wien und lernen eine Familie kennen, die sich zwar gegenseitig Halt gibt, aber auch mitverantwortlich ist, dass sich der Status Quo kaum zu ändern vermag. DER STILLE STURM verdeutlicht die Bedeutung des innerfamiliären Zusammenhalts in Zeiten von Krisen, wie eben jener des durch Corona bedingten Lockdowns vergangenes Jahr in Österreich.
Filme
KÖRPER
Die Bedeutung von Abschiednehmen in rituellem, gesellschaftlichen wie familiären Kontext erleben wir in sensorischen Aufnahmen in LAPÜ, der uns die kosmologischen Dimensionen der traditionellen Exhumierung von Familienangehörigen in Kolumbien näherbringt. Eine andere und ebenso eindringliche Form des Abschiednehmens erleben wir aus innerster familiärer Perspektive in AN ELEGY TO FORGETTING. In diesem Film begleitet der Filmemacher selbst die fortschreitende Demenz und Gebrechlichkeit seines Vaters und führt uns dabei die Bedeutung von Erinnerung und das, was einen Menschen ausmacht, vor Augen. Die drei Filme ECSTASY, THRESHOLD und THE BODY WON’T CLOSE künden von sehr unterschiedlichen Aspekten des Körpers als Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft. The BODY WON’T CLOSE thematisiert dabei die Reflexion von mystischer Verklärung und der eigenen sexuellen Orientierung, die sich körperlich manifestieren. In THRESHOLD geht es nicht nur um die geschlechtliche Transformation der Tochter der Filmemacherin zum Mann, sondern gleichsam um die Emanzipation einer neuen Generation junger Brasilianer*innen vor dem Hintergrund der Errungenschaften ihrer Großelterngeneration für Gleichberechtigung. In dem hybriden Dokumentarfilm ECSTASY reflektiert die Filmemacherin mit Hilfe eines Alter Egos ihre eigene Vergangenheit geprägt von Magersucht, in der sich auch gesellschaftliche Zwänge und Vorstellungen ausdrücken.
Filme
ORTE
Was bedeuten Orte für Menschen? Wie prägen wir sie und wie prägen sie uns? VICTORIA erzählt in skurril anmutenden Bildern von einem gescheiterten städtebaulichen Projekt in Kalifornien, das für den Protagonisten Lashay zu einem Weg aus seiner dunklen Vergangenheit in Los Angeles geworden ist. In BOSCO kommt die Verbindung zum Ausdruck, die die Bewohner*innen eines kleinen abgelegenen und vom Aussterben bedrohten Dorfes in Italien haben und welche Erinnerungen und Geschichten diesen in die Jahre gekommenen Ort zum Leben erwecken. THE LAST AUSTRIANS ist ein etwas anderer Heimatfilm und zeigt, wie die letzten Nachfahren der einst aus der Habsburgermonarchie in die ukrainischen Karpaten gezogenen Österreicher*innen ihr Leben zu meistern versuchen. Von der Tristesse, in der man gefangen sein kann, erzählt KOMBINAT. Wir erleben in einer ehemaligen glorreichen Stahlstadt in Russland, wie die Bewohner*innen mit dem verblassten Glanz früherer Tage umzugehen versuchen. Von einem ganz anderen Ort der Hoffnung kündet HUNTSVILLE STATION, ein Busterminal, welcher der erste Ort ist, den entlassene Häftlinge in Freiheit erleben und betreten, wodurch ein eigentlich kaum wahrgenommener Nicht-Ort zu einem bedeutungsvollen Symbol und Wendepunkt eines Neuanfangs wird. Einen Ort wie kein anderer stellt die Grabeskirche in Jerusalem dar, der sich der Film THERE IS NO OTHER PLACE annähert. Was bedeutet dieser zentrale Ort des christlichen Glaubens für die Menschen und für die verschiedenen Konfessionen, die sich diesen teilen müssen?
Filme
WANDEL
Gesellschaftlicher Wandel ist eine der großen Konstanten und treibenden Kräfte der Welt. Aus ökologischer Perspektive setzt sich LIVING WATER mit der zunehmenden Verknappung von Grundwasser in Jordanien auseinander und wie sich diese anbahnende Katastrophe auf die Beziehungen zwischen den ursprünglichen Bewohner*innen des Wadi Rum und den Regierungs- und Konzerninteressen auswirkt. Sowohl von politischen als auch von ökologischen Umbrüchen bedroht ist das Dorf Congo Mirador, das auf einem See in Venezuela errichtet ist. ONCE UPON A TIME IN VENEZUELA erzählt von dessen Bewohner*innen und davon, wie das Dorf im See und im politischem Chaos zu versinken droht. EDEN TRIBAL begleitet die Einwohner*Innen Neukaledoniens während des Unabhängigkeitsreferendums, um endlich nicht nur die kolonialen Fesseln der einstigen französischen Kolonie, sondern auch festgefahrene Genderrollen und männliche Vorherrschaft abzulegen. RIFT FINFINNE führt uns in ein im wahrsten Sinne des Wortes gespaltenes Äthiopien, in dem unterschiedliche Interessen und gesellschaftliche Konflikte zu einer Zerreißprobe für ein an sich im Aufstreben befindliches Land werden. Andernorts in Afrika, in Lesotho, erleben wir, wie der Zuzug von chinesischen Wirtschaftsmigrant*innen und deren neue wirtschaftlichen Denkweisen mit traditionellen Lebensgewohnheiten in Konflikt geraten. DAYS OF CANNIBALISM beleuchtet diesen schleichenden gesellschaftlichen Wandel und in eindringlicher Weise.